Tja da wollte man am Sonntag mal wieder in das Spinnwerk gehen. Zur Produktion mit dem illustren Namen “Nazistück”. Leider hat es dann doch nicht geklappt. Das Spinnwerk hat am Samstagnachmittag eine kurze Mitteilung herausgegeben, dass die weiteren Vorstellungen bis auf weiteres ausgesetzt sind. Die Runde schaut fragend drein und wundert sich, was da nun wieder vorgefallen ist.
Am Montag dann die Aufklärung via eines Artikels im kreuzer: Das Centraltheater, in persona Sebastian Hartmann, kann die Verantwortung für das Stück nicht übernehmen. Es geht im Kern darum, dass das Stück sich nicht genug vom rechtsradikalen und antisemitischen Gedankengut distanziert. Das heißt, es wird wohl nicht klar, wo die Schauspieler_innen aufhören und wo die Nazis beginnen und andersherum. Nun war ich leider nicht bei der Premiere und einzigen Aufführung des Stückes (ein Hoch auf die Freitag-Abend-Trägheit). Daher kann ich auch nicht beurteilen, inwieweit man diesem Urteil zustimmen kann oder nicht. Trotzdem hat das Centraltheater damit (eventuell auch unbewusst) eine wohl interessante Debatte aufgemacht.
Nämlich die Frage danach, bis wohin Kunst gehen darf und was man den Zuschauer_innen zumuten kann. Der kreuzer fragt in seinem Artikel unter anderem danach, ob bei möglichen Missverständnissen jedes Mal Erklärungen geliefert werden müssen und wie rassistische Figuren dargestellt werden können.
Zunächst ist natürlich die Frage zu klären, was überhaupt geht und was gar nicht geht. Denken wir nur mal an (eigentlich überwunden geglaubte) Blackfacing-Debatten zurück, wird schnell klar, dass es gewisse Grenzen gibt, die Kunst im Allgemeinen und hier Theater im Besonderen nicht überschreiten sollte bzw. darf. Kurz zusammengefasst: Blackfacing transportiert rassistische und kolonialistische Stereotype und ist deshalb in die ewige Mottenkiste des alten Theaters zu verbannen. Zumal Äußerlichkeiten bei Theaterrollen eher eine untergeordnete Rolle spielen sollten.
Nicht so eindeutig sieht die Sache nun aus, wenn Schauspieler_innen kontroverse Rollen einnehmen. Hier sagt das Centraltheater, dass sich die Rollen beim Nazistück nicht genug von den Schauspieler_innen trennen lassen und damit eine Distanzierung vom Thema fehlt. Das erscheint mir (leider nur ins Blaue geschrieben, da selber nicht bei der Aufführung gewesen) doch im Kontext des Spinnwerks recht weit hergeholt. Das Spinnwerk als theaterpädagogische Instanz ist nun nicht gerade dafür bekannt, rassistischem Gedankengut Vorschub zu leisten. Und ich denke, der Ort der Aufführung spielt in dieser Debatte eine sehr große Rolle. Das Spinnwerk spricht weniger das breite Publikum an, das ohne vorherige Informationen in die Stücke geht. Stattdessen hat man es wohl eher mit einem aufgeklärten Publikum zu tun. Und dieses sollte schon mündig genug sein, zwischen gespielter Rolle und zwischen Person auf der Bühne zu unterscheiden. Daher: Hier ist eine zusätzliche Erklärinstanz im Stück meiner Meinung nach nicht notwendig.
Anders sieht das eventuell aus, wenn solch ein Stück auf einer großen Bühne gespielt wird. Hier ist die “Gefahr” ungleich höher, dass Laufpublikum vorbeikommt. Und es kann durchaus sein, dass der eine oder die andere im Publikum nicht genau weiß, was er oder sie zu erwarten hat. Dann wäre es natürlich angemessen, auf das Bühnengeschehen einzugehen. Wobei auch hier die Gefahr besteht, den restlichen Teil des Publikums vor den Kopf zu stoßen. Eine schwierige Gratwanderung scheint notwendig.
Schaut man allerdings mal über den Tellerrand des Theaters hinaus, stellt sich die Frage, ob eine große Erklärung tatsächlich notwendig ist. Das Medium Film hat eher wenige Probleme damit, Nazis und andere Grausamkeiten darzustellen. Und muss ein_e Schauspieler_in in einer rassistischen Rolle sich von dieser Rolle distanzieren? Auch und gerade in Filmen, die nahe an der Realität sind? Die intellektuelle Leistung, die Rolle von der Person zu trennen, halte ich zumindest für den größten Teil der Zuschauer_innen für absolut schaffbar.
Viele Fragen bleiben bei dieser ersten Auseinandersetzung mit dem Thema offen. Sicherlich ist die Entscheidung des Centraltheaters nachzuvollziehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass jeglicher (begründete oder nicht begründete) Rassismusvorwurf doch auf die Intendanz zurückfällt. Daher wäre es tatsächlich interessant, eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema zu initiieren. In Vorbereitung auf diese Diskussion wäre es allerdings schon angebracht, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen und vor allem auch die Spezifika der Nazistück-Inszenierung zu kennen. Warten wir gespannt, was als nächstes passiert.
Schreibe einen Kommentar