Eine kleine Verteidigung der Europäischen Union

Die EU ist ja mal wieder in aller Munde – vornehmend negativ. Vor einiger Zeit gab es neben dem alltäglichen Krisengeklapper aber auch mal wieder ein anderes Thema – der EU-Haushalt stand zur Debatte. Grund genug für den wild gewordenen deutschen Pöbel mal wieder ordentlich zu stänkern und sich am Stammtisch für die Kürzung des EU-Haushalts stark zu machen – natürlich unter Bedienung bekannter Ressentiments.

Jaja, “die EU kostet uns nur Geld, dass die faulen Südländer bekommen”. Das hört und spricht der deutsche Mob gerne. Es geht nur leider (bzw. zum Glück) absolut am Thema vorbei. Sicherlich kann man der EU Vorwürfe machen, wofür das Geld verwendet wird. Das soll erfolgt weiter unten im Beitrag auch noch. Allerdings kann man sich auf einfach mal ein paar Minuten Zeit nehmen und überlegen, was der EU-Haushalt eigentlich ist, wie er sich zusammensetzt und wofür Mittel ausgegeben werden. Dazu werden im Folgenden zunächst einige allgemeine Details zum EU-Haushalt vorgestellt. Danach werden Einnahmen und Ausgaben der EU näher erläutert. Schließlich soll ein kurzer Blick auf den Stammtisch mit seinen “Argumenten” gegen die EU gerichtet werden bevor zum Schluss ein kritisches Fazit des EU-Haushalts gezogen wird.

Eine kleine Warnung vorneweg: In diesem Artikel wird öfter mal auf den finanziellen deutschen Beitrag zur EU eingegangen – das ist einfach notwendig, um einige Stammtischargumente zu entkräften soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass a) niemand hier das künstliche Konstrukt Nationalitäten im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen mag und b) die deutsche Politik gerade ordentlich dazu beiträgt, die Grundideale der EU zu zerstören. Aber das ist ein anderes Thema…

Allgemeines zum EU-Haushalt

Grundsätzlich – schon da zeigt sich in manchen Gespräch die Unkenntnis einiger Mitdiskutant_innen – werden die Haushalte der EU nicht auf jährlicher Basis sondern im Rahmen eines so genannten mehrjährigen Finanzrahmens erstellt. Bisher gab es Haushalte von 1988 bis 1992, 1993 bis 1999, 2000 bis 2006 sowie 2007 bis 2013. Der Haushalt, der gerade in den Medien herumgeistert deckt die Jahre 2014 bis 2020 ab, ist also wieder auf sieben Jahre angelegt.

Nun zu einigen Zahlen, die dem Finanzbericht der EU zum Haushaltsjahr 2011 entnommen sind. Im Haushaltsjahr 2000 standen der EU ca. 90 Milliarden Euro zur Verfügung, das Haushaltsjahr 2011 schlug mit ca. 128 Milliarden zu Buche. Dies entspricht einer Steigerung um 42 Prozent. Damit man diese Zahlen in Relation setzen kann, hier ein paar Vergleichsdaten.

Einnahmen

Der Haushalt der EU setzt sich aus drei Komponenten zusammen: den Eigenmitteln, sonstigen Einnahmen sowie dem Übertrag aus dem vergangenen Haushaltsjahr. Die Eigenmittel unterteilen sich weiter in traditionelle Eigenmittel bestehend aus Zöllen und Produktionsabgaben von Zuckererzeugern, in Mehrwertsteuer-Eigenmittel (prozentualer Anteil an den Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedsstaaten) sowie in Bruttonationaleinkommen-Eigenmittel (die eigentlichen Beiträge der Mitgliedsstaaten). 2011 standen im EU-Haushalt etwa 120 Milliarden Euro Eigenmittel zur Verfügung. Davon entfallen rund 88 Milliarden Euro auf die Bruttonationaleinkommen-Eigenmittel. Die Mehrwertsteuer-Eigenmittel stehen mit rund 15 Milliarden Euro zu Buche. Jeder Mitgliedsstaat führt grundsätzlich 0,3 Prozent seiner Mehrwertsteuereinnahmen an die EU ab; einige Mitgliedsstaaten (u.a. auch Deutschland) haben einen reduzierten Satz von 0,15 Prozent.

Zu den sonstigen Einnahmen in Höhe von rund 5 Milliarden Euro zählen Steuern von Gehältern der EU-Bediensteten und Rückzahlungen nicht in Anspruch genommener Finanzhilfen. Der Übertrag aus dem vergangenen Haushaltsjahr betrug 2011 ebenfalls etwa 5 Milliarden Euro.

Deutschland hat im Jahr 2011 insgesamt rund 23 Milliarden Euro an die EU gezahlt. Dies setzt sich zusammen aus 1,5 Milliarden Euro Mehrwertsteuer-Eigenmitteln, 17,5 Milliarden Euro Bruttonationaleinkommen-Eigenmittel und 3,5 Milliarden Euro traditionellen Eigenmitteln. Das sind etwa 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (oder auch 0,89 Prozent des Bruttonationaleinkommens von 2612 Milliarden Euro, der Durchschnitt der EU-Staaten liegt hier bei 0,95 Prozent).

Ausgaben

Die Ausgaben der EU lassen sich anhand der verschiedenen Programme, die die EU durchführt, einteilen. Das Programm Wettbewerbsfähigkeit für Wachstum und Beschäftigung verfolgt das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken und schlägt mit 11,5 Milliarden Euro zu Buche. Einen finanziellen Großteil des Programms macht das Siebte Forschungsprogramm aus (6,5 Milliarden Euro). Unter dem Titel Kohäsion für Wachstum und Beschäftigung sind die verschiedenen Strukturfonds der EU gebündelt, d.h. der Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Europäische Sozialfonds (ESF) und der Kohäsionsfonds (KF). Dieses Programm hat ein Volumen von 42,5 Milliarden Euro. Das dritte und letzte große Wachstums- und Beschäftigungsprogramm hat die nachhaltige Bewirtschaftung und den Schutz natürlicher Ressourcen zum Ziel. Hierin sind Mittel für die Landwirtschaft, die Entwicklung des ländlichen Raums, die Fischerei sowie für die Umwelt in Höhe von 56 Milliarden Euro enthalten.

Das Programm Freiheit, Sicherheit und Recht (0,8 Milliarden Euro) hat den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum zum Ziel. Hierunter fallen der Grenzschutz an den EU-Außengrenzen, die Entwicklung eines gemeinsamen Asylraums, die Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Justizbehörden sowie die Drogenbekämpfung. Um die EU bekannt und beliebt zu machen, umfasst das Programm Unionsbürgerschaft u.a. den Titel Strategie Europa 2020 sowie das Projekt Kulturraum Europa zur Unterstützung der europäischen Filmindustrie. Das Programm hat ein Volumen von 0,9 Milliarden Euro. Aktivitäten der EU in Drittländern werden im Programm Die EU als globaler Partner (6,9 Milliarden Euro) gebündelt. Hierunter fällt auch das Projekt zur Unterstützung der EU-Beitrittskandidaten Kroatien, Türkei und Mazedonien sowie potentieller Kandidatenländer. Den letzten Ausgabenpunkt bildet die Verwaltung in Höhe von 7,3 Milliarden Euro. Hierzu zählen Dienstbezüge und Pensionen aber auch die Infrastruktur und Informationstechnologie der EU.

Der Stammtisch spricht

Nach diesem ganzen Zahlenwust muss man vielleicht erst mal kurz durchatmen und sich zurücklehnen. Bisher wissen wir also, dass Deutschland 2011 etwa 23 Milliarden Euro an die EU abgeführt hat. Dieses Geld hat einen Teil zu den Programmen der EU beigetragen die im Abschnitt Ausgaben aufgeführt wurden. Nun sagt der Stammtisch natürlich gerne mal “Wir zahlen ja nur und haben nichts von dieser EU”.

Dem ist natürlich nicht so. Denn schaut man sich mal an, wo die Gelder der einzelnen Programm hingehen, kommt doch eine ganze Menge davon wieder nach Deutschland zurück. Aus dem Programm Wettbewerbsfähigkeit für Wachstum und Beschäftigung erhält Deutschland etwa 1,6 Milliarden Euro – und damit mehr als alle anderen EU-Staaten. Im Rahmen des Programms Kohäsion für Wachstum und Beschäftigung kommen etwa 3,5 Milliarden Euro zurück (macht Platz 4 nach Polen, Spanien und Ungarn). Mit 6,9 Milliarden kommt dann nochmal ein großer Brocken aus dem Programm zur nachhaltigen Bewirtschaftung (Platz 3 nach Frankreich und Spanien). Schließlich gibt es noch 0,04 Milliarden Euro aus dem Programm Freiheit, Sicherheit und Recht (Platz 9) sowie 0,05 Milliarden Euro aus dem Programm Unionsbürgerschaft (Platz 6).

Rechnet man die Zahlungen zusammen kommt man auf einen Betrag von etwas mehr als 12 Milliarden Euro, die Deutschland alleine als finanzielle Mittel von der EU im Jahr 2011 erhalten hat. Gegen die 23 Milliarden Euro gegengerechnet, sind 2011 also insgesamt 11 Milliarden Euro mehr an die EU geflossen als zurückgekommen sind, das sind nur etwa 0,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Treibt man die Vergleiche weiter und legt 82 Millionen Einwohner_innen zugrunde, dann hat jede_r Einwohner_in im Jahr 2011 insgesamt etwa 135 Euro für die EU bezahlt (oder auch ca. 37 Cent am Tag). Legt man 41 Millionen Erwerbstätige zugrunde, ergibt sich ein Betrag von insgesamt 268 Euro, damit nicht ganz 74 Cent pro Tag.

Ist es nicht toll, dass man für so einen kleinen Betrag ein Instrument wie die EU bekommt? Ich bin gerne dazu bereit!

Alles gut?

Jetzt könnte man ja meinen – toll, die EU kostet uns nur ganz wenig und leistet dafür richtig viel. Insbesondere durch die Förderungen werden einige wichtige Projekte angeschoben, die es in dieser Form sonst nicht geben würde. Allerdings: Kritik an der EU-Politik ist richtig und wichtig – sie sollte aber sachgerecht sein und nicht auf Stammtischniveau abdriften. Das heißt, dass unabhängig vom finanziellen Beitrag einzelner Länder das Augenmerk eher darauf gerichtet werden sollte, welche Projekte gefördert werden und ob dies tatsächlich zukunftsfähige Projekte sind oder doch eher rückwärtsgewandte.

So schön wie einige Projekte, die finanziert werden, auch klingen gibt es doch nicht wenige Dinge, die kritisierungswürdig sind. Hier soll gar nicht so sehr die fehlende demokratische Unterfütterung einiger EU-Institutionen im Fokus stehen. Stattdessen werden im Folgenden einige besonders kritische Projekte der EU näher beleuchtet und darüber berichtet, warum diese Projekte in einer modernen Welt nichts zu suchen haben.

Erstens: Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen – besser bekannt unter ihrem berühmt-berüchtigten Kürzel Frontex – ist sicherlich eines der bekannteren Beispiele der “Migrationspolitik” der EU. Bereits in den Erwägungsgründen des Gesetzestextes zeigt sich das Gesicht dieser Migrationspolitik. Dort heißt es unter anderem, dass “eine wirksame Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen […] für die Mitgliedstaaten unabhängig von ihrer geografischen Lage außerordentlich wichtig” ist (Seite 2, Punkt 5). Frontex spielt dabei eine wichtige Rolle, indem es die Länder bei der “Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in den Mitgliedstaaten aufhalten” (Seite 3, Punkt 6) unterstützt. Natürlich ist Frontex nur ein sehr offensichtliches Zeichen einer kapitalistischen Gesellschaft, die notwendigerweise auf die Ausbeutung einzelner Menschen angewiesen ist. Und damit auch auf einem “Schutz” der Reichen vor den Armen. Trotzdem lohnt es sich, gerade dieses Symbol abzuschaffen. Denn Frontex ist nicht nur ein theoretisches Problem sondern ein ganz praktisches Instrument, welches Menschenleben kostet. Nicht nur, indem Migrant_innen bereits auf hoher See abgeschoben werden, ohne dass Asylanträge gestellt werden können. Vielmehr ist Frontex durch Aufbau von Barrieren dafür verantwortlich, dass mehr Migrant_innen beim Versuch, Europa zu erreichen, sterben.

Zweitens: Hier gehen wir auf die Ebene, warum Programme wie z.B. Frontex in der EU in der aktuellen Gestalt eigentlich nötig sind. Denn so schön, wie die Ziele einiger anderer Projekte auch klingen mögen (z.B. der Kohäsionsfond zur Angleichung der Lebensverhältnisse) so sehr ordnen sich diese Projekte doch dem neoliberalen Dogma des Lissabon-Vertrags unter. Solange dieses Dogma vorherrscht, werden billige Arbeitskräfte im Ausland gebraucht, um die eigenen Profite zu maximieren, so lange wird es keine zukunftsfähige Außenpolitik geben, solange wird es keine humane Flüchtlingspolitik geben.

Drittens: Als weitere Folge der Fixierung auf kapitalistischer Profitmaximierung und die damit einhergehende Abschottungs- und Sicherheitspolitik gibt es etliche Programme, mit denen Anreize gesetzt werden, die zu Verschlechterungen in Ländern sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU führen. Unter anderem gibt es schon seit Jahren heftige und berechtigte Kritik an den Landwirtschaftssubventionen, da sie z.B. nur “nur den durchrationalisierten, auf Niedrigstpreise getrimmten, industriell aufgestellten Betrieben” nützen oder aber ökologische Aspekte ausklammern. Darüber hinaus verursacht auch die geplante (bisher aber zum Glück noch nicht verabschiedete) Speicherung von Fluggastdaten Kosten – laut FAZ vom April 2012 in Höhe von etwa 500 Millionen Euro. Die hier angesprochenen Punkte sollen allerdings nicht in die Kürzungskerbe hauen. Stattdessen sollten sie eher dazu dienen, einen Einblick in Finanzmittel zu geben, die in anderen Bereichen besser aufgehoben wären. Und das für nicht mal 75 Cent am Tag…

Gerade um europaweit Veränderungen zu erreichen ist es allerdings wichtig, die europäischen Institutionen ernst zu nehmen. Und dies auch mit einer Beteiligung an Wahlen auszudrücken. Denn die Beschlüsse der EU kommen nicht “von da oben” sondern vom Parlament und dem Rat. Schaut man sich die Ergebnisse der letzten Parlamentswahlen an, wird schnell deutlich, dass das konservative mit-dem-Finger-auf-die-EU-zeigen völlig absurd ist. Stellt doch die Europäische Volkspartei (EVP) die größte Fraktion im Parlament. Es wäre jetzt natürlich müßig zu betonen, dass die EVP die europäische Variante der CDU/CSU ist. Als ob das nicht ausreicht, setzt sich der zurecht kritisierte Europäische Rat aus den Staats- und Regierungschefs der europäischen Staaten zusammen. Und das ist aus Deutschland nunmal immer noch Angela Merkel, wieder mal CDU. So etwas würde man in der Welt der Psychatrie wohl Schizophrenie nennen…


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