Endlich wieder Hochkultur. Nachdem wir lange, allzu lange schon nicht mehr im Centraltheater Schauspielhaus waren, hat nun der Gewinn bei der kreuzer-Verlosung für ein Wiedersehen gesorgt. Gab es mit dem Wechsel der Intendanz eher weniger gute Nachrichten (Stichworte: ein OBM, der sich über die Entscheidung einer eigens eingesetzten Findungskommission hinwegsetzt, urplötzlich aufgetauchte hohe Defizite, gegenseitige Anschuldigungen, Anzeige) soll doch langsam mal wieder Ruhe einkehren und das eigentliche Thema zurück auf die Agenda kommen: Theater. Auf dem Programm stand am 09. Januar eine Adaption des Textes Und dann von Wolfram Höll (Leipziger Jahrgang 1986) inszeniert von Claudia Bauer.
Bevor es richtig los geht, dürfen wir erst einmal die (nunja, mittlerweile nicht mehr ganz so) neue Spielstätte in Augenschein nehmen: die Diskothek. Eine Auflistung ganz im Sinne des Stückes: Zunächst betritt man einen kleinen Vorraum. Und dann geht man durch die alte Disco, die einen speziellen Charme versprüht, der danach schreit, wieder bespielt zu werden. Und dann gilt es, einige Treppen zu steigen. Und dann ist man auch schon fast da. Und dann sitzt man auch schon und vor einem baut sich das Bühnenbild auf: eine stilisierte Plattenbauwohnung, zwei Videoleinwände und „Ein Vater, zwei Kinder, drei Verlierlinge. Eine Mauer, die keine mehr ist.“ als Schleife.
Und dann also. Mit einigen Vorschlusslorbeeren bedacht (Gewinnerstück des Hörspielpreises des Stückemarktes beim Berliner Theatertreffen 2012), handelt der Text von der Zeit des großen Umbruchs, den wir als Wende kennen. Von daher vielleicht ganz passend für die selbst ernannte Heldenstadt Leipzig, um sich selbst mal ein wenig zurechtzustutzen. Geht es doch im Stück weniger darum, die Wendeereignisse ganz heroisch und unreflektiert darzustellen, sondern eher um Verlust im weitesten Sinne. Da verliert ein Kind seine FDJ-Vergangenheit, da hat (anscheinend) eine Familie die Mutter verloren, da verliert eine Familie sich irgendwie selber.
Erzählt aus der kindlichen Perspektive finden wir mehrere Stationen aus der Umbruchzeit wieder. Da wird immer wieder neues entdeckt und in neue Begriffe gepackt; sei es das Funkgerät des Vaters, sei es die russische Familie, die eine richtige Familie und nicht nur eine halbe ist. Hölls Text zeichnet sich hier vor allem durch gelungene sprachliche Neuschöpfungen aus: Komposita, die immer länger werden, Begriffe, die erst beim zweiten, dritten, vielleicht vierten Hören ihre eigentliche Bedeutung erschließen.
Und dann ist da neben der Sprache auch noch die gelungene, moderne Inszenierung, die bald als multimediale Darbietung erscheint. Auf der Plattenbaubühne treten uns die vier Akteure als überlebensgroße Versionen von Puppen entgegen (Bühne & Kostüme: Andreas Auerbach). Da stellt sich die Frage, wer sich vor wem versteckt – oder ob wir dieses Zeitalter der Masken auch nur ganz einfach Post-Mimik nennen. Das würde dem Stück aber nicht vollständig gerecht werden. Denn irgendwann sehen wir auch die Gesichter der Darsteller_innen; doch nur kurze Zeit später verschwinden sie wieder unter ihren Puppenköpfen.
Am Ende bleibt vielleicht eine kleine eigene Erinnerung an die Zeit der Wende zurück, als man selber um die acht war. Das alles gar nicht mitbekommen hat und trotzdem mittendrin dabei war. Erinnerungen, die eigentlich nur durch Erzählungen der Eltern mit Bildern behaftet sind und eine Zeit suggerieren, die vielleicht ganz anders war, als man sich das vorstellt. Das alles fasst Und dann in einem kurzweiligen Stück zusammen! Und das Publikum dankt es mit lang anhaltendem Applaus.
Und dann. In der Regie von Claudia Bauer. Nächste Aufführungen: 19.01., 08.02., 16.02., 23.02.
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