Shumeet Baluja, Entwickler bei Google, legt 2011 mit „Silicon Jungle“ seinen Debutroman vor. Er erzählt die Geschichte von Stephen Thorpe, einem Informatiker, der ein Praktikum beim fiktiven Konzern Ubatoo ergattert. Ubatoo ist ein großer Konzern, dessen Dienste von Millionen Menschen weltweit genutzt werden. Stephens Aufgabe während des Praktikums ist es, die richtige Werbung den richtigen Nutzer_innen zu zeigen. Dazu stehen ihm die gewaltigen Datenmengen von Ubatoo zur Verfügung – Emails, Kalendereinträge, Einkaufshistorien, Sucherverläufe etc. Baluja schreibt über Stephens Arbeit bei Ubatoo, die zunächst recht harmlos beginnt und spätestens dann eine Wende nimmt, als die Datenschützer_innen der American Coalition for Civil Libterties (ACLL) in Person von Sebastin Munthe Kontakt mit ihm aufnehmen.
Ubatoo bietet die wohl schönsten Arbeitsbedingungen, die sich Data Miner vorstellen können – freier Zugriff auf alle Benutzer_innendaten, nahezu grenzenlose Rechenkapazitäten für Analysen und natürlich alle fringe benefits, die in der IT-Branche üblich sind: schicke Cafeterias, flexible Arbeitszeiten, genügend Freiräume für eigene Projekte. Dementsprechend stürzt sich Stephen begeistert in sein neues Leben als Praktikant. Baluja kann hier aus den Vollen schöpfen und munter die Google-Arbeitsbedingungen verschriftlichen. Es bleibt nur zu hoffen, dass in der Realität bei Google nicht alles so abläuft wie beschrieben, z.B. das Mitlesen privater Mails oder die Live-Auswertung von Suchanfragen.
Was das Buch aber gerade jetzt so interessant macht, ist der weitere Verlauf der Geschichte (Achtung: jetzt müssen Spoiler kommen). Denn plötzlich wird aus dem Datenschützer Sebastin ein Zuträger des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA. Noch glaubt Stephen, dass er in Sebastins Auftrag Personen identifizieren soll, die wahrscheinlich durch den NSA beobachtet werden, damit diese von der ACLL gewarnt werden können. Dazu nutzt er eine Liste mit verdächtigen Büchern, die er um weiteren Daten anreichert, um genauere Informationen zu gewinnen.
Schon ziemlich zu Beginn des Buches ist relativ klar, in welche Richtung es gehen könnte. Trotzdem sitzt man und liest und denkt sich – kann es sein, dass bereits im Jahr 2011 erste Informationen über das gesamte Ausmaß von Prism und den weiteren Programmen in Romanform veröffentlicht wurden? Beim weiteren Lesen muss man sich unweigerlich fragen: Wie viel Realität steckt in Balujas Buch? Als Beispiel nur ein kurzes Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Stephen und einem Kollegen, der vor deinem Ubatoo-Praktikum zwei Praktika bei der NSA absolviert hat:
„Ihr habt nach Terroristen gesucht, stimmt’s? Oder habt ihr einfach alles überwacht?“
„Natürlich haben wir nach Terroristen gesucht. Aber du weißt ja, wie das Internet und die Telekommunikationsunternehmen weltweit miteinander vernetzt sind – wenn jemand in Kanada jemanden in Pakistan anruft oder ihm eine Mail schreibt, kann das durchaus über Server oder Weichen auf amerikanischen Boden geleitet werden. Den Datenverkehr, der durch Amerika fließt, mussten wir natürlich überwachen, klar? Den Rest kannst du dir denken“
Puh, harter Tobak. Im Jahre 2011 sicherlich noch als ziemlich abwegig abzutun, muss man das heute unter ganz anderen Gesichtspunkten lesen. Ich weiß nicht genau, ob wir es hier tatsächlich noch mit einem Roman oder schon mit einer Dokumentation zu tun haben. Und tatsächlich ist das kein schönes Gefühl, was Silicon Jungle im Jahre 2013 hinterlässt. Hat Baluja vielleicht tatsächlich Realität und Fiktion vermischt? Wie stehen die Geschehnisse im Buch zu den Erkenntnissen, die wir dank Edward Snowden haben. Fragen, die wohl nur der Autor klären kann…
Shumee Baluja – Silicon Jungle, 2012. suhrkamp.
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