Skript: Theoretische Philosophie Uni Leipzig (23.10.2013)

Die genauen Gründe, aus denen sich die Philosophie um das Jahr 700 v.Chr. institutionalisiert hat, sind bis dato unklar. Es lässt sich auch annehmen, dass sie den Menschen zur damaligen Zeit eventuell selbst nicht bekannt waren, vermutlich waren es aber externe Einflüsse wie z.B. Überfälle oder Naturkatastrophen. Trotzdem lassen sich verschiedene Umstände identifizieren, die der Institutionalisierung den Weg bereitet haben. Grundlegend lässt sich ein Übergang von der sogenannten homerischen zur politischen Welt festhalten.

Von der homerischen zur politischen Welt

Die homerische Welt ist gekennzeichnet durch ein Kontinuum, welches von Gott bis zur Natur reicht. Das heißt, es existiert eine Einheit der Menschen sowohl mit dem Natürlichen als auch mit dem Übernatürlichen. Der Mensch an sich ist dabei nur ein kleiner Bestandteil der ganzen Welt. Diese Einheit bricht nun (aus ungeklärten Gründen) zusammen und die politische Welt tritt in Erscheinung. Dabei ist die Einheit zwischen Gott, Mensch und Natur aufgehoben. Dies zeigt sich zum Beispiel an Stadtmauern, die den Menschen von der Natur abtrennen und an erhaben gebauten Tempel, die ihn von Gott abgrenzen.

In verschiedenen Teilen der Welt entstehen zum einen unterschiedliche Philosophien, z.B. die griechische, indische und die chinesische. Die Aufhebung des Einheitsprinzips zeigt sich zum anderen in der Entstehung verschiedener kleinerer Reiche (im späteren Verlauf der Geschichte wird sich zeigen, dass wiederum größere Reiche entstehen, um dem Einheitsproblem zu begegnen). Die Menschen der politischen Welt stehen vor der Herausforderung, dass die bis dahin existierende Welt zusammenbricht. Es zeigt sich, dass Menschen sich entschieden haben und ihnen auch bewusst wird, dass sie sich entschieden haben. Sie wollen also eine praktische Lösung für die Probleme der Welt finden und ihren eigenen Lösungsvorschlag gegenüber anderen Menschen verteidigen. Den Menschen werden Begriffe wie Bewusstsein, Freiheit, Wert der Menschen und Eigenverantwortung bewusst, wodurch eine Unterscheidung in Freiheit und Unfreiheit möglich wird. Die Entwicklung der institutionalisierten Philosophie kann als eine Reaktion darauf betrachtet werden.

Leistungen der Ersten Philosophie

Den Herausforderungen wird unter der These begegnet, dass die Einheit zwischen Gott, Mensch und Natur nicht verloren sondern nur nicht mehr sichtbar ist. Praktische Handlungen (wie z.B. Gesetze) sollen als Beweis der weiteren Existenz der Einheit herangezogen werden, um eine Wiedervereinigung zu ermöglichen. Die Krise soll durch verschiedene Erklärungsversuche überwunden werden, z.B. soll bei den Hebräern eine göttliche Eingebung empfangen werden, die zur Erlösung der Menschen führt. In China wird dem Kaiser ein himmlisches Mandat zugeschrieben, wodurch er Rechte und Pflichten hat. Die Leistung der ersten Philosophie ist es nun, die Begründung nicht aus der Religion sondern außerhalb von dieser zu suchen. Damit wandeln sich die Götter von den bisherigen “Übermenschen” zu einem Abstraktum mit eigenem Verantwortungsbereich. Diese Loslösung vom Göttlichen zeigt sich unter anderem daran, dass in vielen Regionen Menschenopfer verboten wurden.

Zwei wichtige Merkmale der institutionalisierten Philosophie sind, dass sie 1. strukturiert und 2. sich bestimmten Personen, von denen auch Biographien existieren, zuordnen lässt. Der erste bekannte Vertreter dieser Richtung ist Thales (~624 – 546 v.Chr.), mit dem die Philosophie als eine besondere Form des Nachdenkens beginnt. Das Prinzip der Einheit der Welt ist bei Thales das Wasser, welches scheinbar unterschiedliches vereinheitlicht. Thales begründet dies damit, dass Wasser selbst verschiedenes in eine Einheit bringt, z.B. die verschiedenen Formen Wasser, Dampf und Eis. Im Gegensatz zu einer theologischen Begründung der Einheit der Welt ist Thales’ Begründung philosophisch. Dies zeigt sich daran, dass Wasser als Prinzip der Einheit erfassbar und wahrnehmbar ist. Das Prinzip ermöglicht eine vollständige Erklärung des Weltgeschehens und ist im Gegensatz zu theologischen Fundierungen von allen anzweifelbar, da die zugrunde liegenden Thesen hinterfragt werden können. Darin zeigt sich ein besonderes Merkmal der griechischen Philosophie: die Kritikfähigkeit. Indem Konflikte über das genaue Einheitsprinzip ausgelebt werden wird wiederum die Uneigkeit zu Einigkeit erklärt, da die These, dass ein solches Prinzip existiert von allen vertreten wird.

Mit Thales entsteht die Schule von Milet und begründet die griechische Naturphilosophie. Anaximander (610 – 547 v.Chr.) als Schüler von Thales hat dessen Begründung der Einheit mit dem Prinzip Wasser kritisiert. Er begründet dies damit, dass Wasser in Bezug auf Menge und Eigenschaften immer begrenzt ist. Da nun die Welt allerdings viele verschiedene Eigenschaften hat, kann etwa Endliches nicht das Prinzip von Allem sein. Wäre der Anfangsgrund endlich, würde nichts neues mehr in die Welt hinzukommen. Aus diesem Grund muss das Einheitsprinzip etwas Unendliches (genannt Apeiron) sein. Damit hat jedes endliche Ding einen unendlichen Anfangsgrund und es gibt keinen natürlichen Endpunkt. Anaximander legt seine Gedanken in der ersten philosophischen Schrift überhaupt nieder; ihr wird der Name “Über die Natur” zugeschrieben.

In der Folge von Anaximander kritisiert dessen Schüler Anaximenes das Prinzip Apeiron, da dessen Unendlichkeit rein qualitativ ist. Die Frage ist nun, welchen Ursprung die quantitative Unendlichkeit hat. Das erste Prinzip muss allerdings sowohl qualitatives als auch quantitatives erfassen. Anaximenes schlägt als dieses Prinzip die Luft vor. Deren Unendlichkeit zeigt sich z.B. darin, dass sie komprimiert werden kann. Weiterhin wurde in der Antike die Luft im Gegensatz zum Wasser als etwas Überstoffliches angesehen. Die Stofflichkeit der Luft zeigt sich nur manchmal anhand konkreter Ereignisse, wie z.B. bei einem Windhauch.

Unabhängig von den jeweils vertretenen konkreten Prinzipien, eint Thales, Anaximander und Anaximenes, dass sie die Idee und Praxis der Kritik ermöglicht haben, was auch die Religionskritik umfasst. Darüber hinaus führt es zur Erkenntnis, dass die Wahrheit zwei Ebenen hat: die Erscheinung der Dinge und das Wesen der Dinge. Damit gibt es eine Vielfalt in der Erscheinung (konkrete Mensch), die aber eine Einheit im Wesen (Mensch) hat.


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