Kausalitätstheorien und kausales Schließen

Das Leipziger Zentrum für quantitative empirische Sozialforschung bietet derzeit eine Überblicksreihe mit Vorlesungen zu Methoden der quantitativen Sozialforschung an. Den inhaltlichen Auftakt machte in diesem Jahr Thomas Bartelborth (Philosophie / Logik und Wissenschaftstheorie) mit dem Thema Kausalitätstheorien und kausales Schließen am 15.11.2013. Eine kurze Zusammenfassung des spannenden Vortrags.

Bevor es richtig losgeht noch eine kurze Warnung: Was hier steht ist nur eine Mitschrift und daher keineswegs das Ende der Geschichte. Es kann maximal als kleine Anregung in das interessante und doch recht komplexe Thema der Kausalität dienen. Aufgrund der Komplexität können hier einige Zusammenhänge auch nur viel zu kurz bzw. ungenau wiedergegeben werden. Wer danach noch weiteres Interesse hat, kann dieses im frei verfügbaren Buch „Die erkenntnistheoretischen Grundlagen induktiven Schließens“ von Bartelborth sicherlich angemessen befriedigen sowie die im Text referenzierte Literatur zu Rate ziehen.

Kausalität

Das Konzept der Kausalität hat in den empirischen Wissenschaften eine große Bedeutung, da sie Ereignisse miteinander verbinden und eine Ordnung für die Welt liefern kann. Zum Beispiel kann eine Krankheit geheilt werden, wenn ihre Ursache gefunden worden ist. In diesem Rahmen sind zwei Aufgaben durchzuführen. Zunächst muss Kausalität definiert, d.h. eine Definition für die Aussage „a verursacht b“ gefunden werden. Weiterhin müssen Kausalzusammenhänge ermittelt werden.

Als Ausgangspunkt gilt hier ein Modell der Welt mit ihren grundlegenden Bestandteilen Gegenstände, Eigenschaften und Strukturen. Zu diesen Strukturen gehören einerseits Raum und Zeit, andererseits Kausalbeziehungen. Diese Kausalbeziehungen bestehen aus Ereignissen, wobei ein Ereignis als Eigenschaft X definiert ist, die an einem Objekt O zum Zeitpunkt t gilt: E = <X,O,t>.

Kausaler Realismus

Im weiteren Verlauf wird als Grundposition der kausale Realismus vertreten. Dieser basiert auf vier Grundüberzeugungen. Zunächst soll Kausalität objektiv sein. Darüber hinaus ist Kausalität mit Notwendigkeit verknüpft, d.h. ein Ereignis A bringt ein Ereignis B mit einer gewissen Notwendigkeit hervor. Schließlich soll Kausalität basal sein. Als vierte Überzeugung tritt das Kausalprinzip hinzu, wonach jedes Ereignis eine Ursache hat.

Die Position des kausalen Realismus wurde von frühen Empiristen und auch von Kant abgelehnt. Stattdessen sprechen diese davon, dass es nur Abfolgen von Ereignissen gibt und keine weiteren Spekulationen basierend auf dieser Abfolge erlaubt sind. Hume stellt die Regularität als Ersatzkonzept vor. Demnach ist ein Ereignis a vom Typ A eine Ursache des Ereignisses b vom Typ genau dann, wenn auf Ereignis vom Typ A immer raumzeitlich benachbart ein Ereignis vom Typ B folgt. Dies ist dann allerdings keine Notwendigkeit mehr sondern nur noch eine Abfolge. Da die Regularität also nur Korrelationen darstellt, ist sie nicht hinreichend zur Definition von Kausalbeziehungen.

Einen anderen Ansatz hat z.B. Carnap vorgestellt, wonach a die Ursache von b ist genau dann, wenn aus der Kenntnis von a und allen Naturgesetzen b deduktiv hergeleitet werden kann. Allen Versuchen, Kausalbeziehungen mittels des Regularitätsansatzes zu beschreiben, ist allerdings gemein, dass sie versuchen, Korrelationen als kausale Zusammenhänge zu deuten. Dies stößt allerdings an Grenzen, wenn Kofaktoren, d.h. eine Ursache alleine ist nicht hinreichend, oder alternative Ursachen, d.h. eine Ursache ist nicht die allein notwendige, ins Spiel kommen.

INUS-Konzept und Kontrafaktische Kausalität

Mit Hilfe des sogenannten INUS-Konzepts lassen sich nun Kofaktoren und alternative Ursachen besser beschreiben. Kofaktoren werden mit Hilfe eines Faktorenbündels dargestellt, z.B. lässt sich die Aussage „Die Faktoren A, B und C sind zusammen notwendig, damit die Wirkung W eintritt“ wie folgt darstellen: ABC => W. Als Beispiel kann hier dienen, dass ein brennendes Streichholz, Sauerstoff und trockenes Stroh notwendig sind, damit ein Feuer ausbricht. Fällt eine dieser notwendigen Ursachen weg, bricht kein Feuer aus. Analog lassen sich alternative Ursachen durch eine Disjunktion von Faktorenbündeln darstellen, z.B. ABC v DBC => W. Nun kann beispielsweise das brennende Streichholz (A) durch ein glühendes Metall (D) ersetzt werden, damit ein Feuer ausbricht.

Zu beachten, dass dieses Konzept beschränkt ist auf deterministische Kausalität, d.h. zu jeder Zeit gibt es Bedingungen, die den Verlauf der Zukunft eindeutig festlegen, ohne dass es weitere Möglichkeiten des Weltverlaufs gibt. Aufgrund diverser möglicher Gegenbeispiele muss das INUS-Konzept weiterhin verstärkt werden, so dass das Faktorenbündel minimal ist und nichts davon weggelassen werden kann. Mit Hilfe der INUS-Konzeption lassen sich Ursachen als sogenannte Unterschiedsmacher ansehen. Zum Beispiel tritt eine Wirkung W auf, wenn die Ursache A da ist und W tritt nicht auf, wenn A nicht da ist – A macht also den Unterschied zwischen dem Auftreten und dem Nicht-Auftreten von W. Notwendige Bedingung hierbei ist allerdings, dass alle alternativen Ursachen eliminiert werden und alle Kofaktoren vorhanden sind. Basierend auf der INUS-Konzeption lassen sich mit Hilfe des Quine-McCluskey-Verfahrens Ursachen einer Wirkung auffinden.

Ein Problem – nicht nur – der INUS-Konzeption liegt allerdings in der singulären Kausalität, d.h. der Frage danach, ob eine Ursache U konkret verantwortlich für die Wirkung W ist. Dies ist beispielsweise relevant zur Beantwortung einer Frage, ob der Lungenkrebs eines Patienten durch das Rauchen verursacht wurde. Der kontrafaktische Ansatz zur Kausalität hat vor allem dieses Problem im Blick.

Nach dem kontrafaktischen Ansatz entspricht die Aussage „a verursacht b“ der Aussage „wäre a nicht, wäre nicht b“. Dies lässt sich mit dem kontrafaktischen Konditional (dargestellt mittels a ◻→ b) ausdrücken. Dieses hat andere Eigenschaften als die gewöhnliche Implikation, z.B. ist es nicht monoton und damit sehr sensibel gegenüber zusätzlichen Annahmen.

Die Vorwegnahme (Preemption) als weiteres Problem lässt sich unter anderem mittels einer Kovariationsstrategie, d.h. Änderungen an der Ursache führen zu Änderungen an der Wirkung, oder mittels einer Blueprint-Strategie lösen. Allerdings haben auch diese Ansätze Probleme, da schnell zu viele unerwünschte Abhängigkeiten entstehen und negative Kausalität, d.h. Verursachung durch Unterlassung, nur schwer abgedeckt werden kann. Eine ganz andere Problematik folgt daraus, dass es probabilistische Unterschiede in der Ursache-Wirkung-Beziehung geben. Zum Beispiel folgt auf den Genuss von Wein nicht immer sondern nur manchmal Kopfschmerzen. Dieser Problematik stellen sich probabilistische Kausalitätsansätze.

Probabilistische Kausalitätsansätze

Bei der probabilistischen Interpretation von Kausalität folgt aus dem Auftreten der Ursache nicht automatisch das Auftreten der Wirkung. Stattdessen erhöht das Auftreten der Ursache die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Wirkung, d.h. P(W|A) > P(W|-A) und dementsprechend P(W|A) > P(W). Problematisch hierbei ist allerdings, dass es sich wiederum nur um Korrelation und nicht um Kausalität handelt, da es versteckte Ursachen geben kann, die dazu führen, dass A und W auftreten. Reichenbacher bezeichnet dies als Common-Cause-Prinzip, welches besagt, dass bei eine Korrelation zwischen A und B folgende Gründe haben kann:

  1. A ist Ursache von B: A → B
  2. B ist Ursache von A: B → A
  3. C ist der Common Cause von A und B: C → AB

Das Common-Cause-Prinzip kann als plausibles (heuristisches) Konzept angesehen werden, da das Vorliegen einer Korrelation die Vermutung nahelegt, dass es eine Ursache dafür gibt. Allerdings gibt es auch für das Common-Cause-Prinzip Gegenbeispiele wie z.B. verschränkte Teilchen in der Quantenmechanik.

Weiterentwicklung der probabilistischen Definition von Kausalität besagen z.B., dass A genau dann Ursache von B ist, wenn gilt

  1. P(B|A) > P(B|notA),
  2. A findet zeitlich vor B statt,
  3. es gibt keinen Common Cause für A, B

Auch diese Definition lässt sich allerdings mit Gegenbeispielen problematisieren, weshalb weitere neue Definitionsversuche der probabilistischen Kausalität vorgenommen wurden. Unter anderem wurde festgehalten, dass eine Ursache nur in bestimmten Situationen die Wahrscheinlichkeit der Wirkung erhöht. Darüber hinaus berücksichtigt die singuläre probabilistische Wahrscheinlichkeit nach Igal Kvart die Ereignisse, die zwischen Ursache und Wirkung stattfinden. Dies geschieht durch die zusätzlichen Erweiterungen Anheber, Neutralisierer und Umkehrer.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die diversen Konzeptionen von Kausalität alle verschiedene Probleme besitzen. Sie haben allerdings eine Gemeinsamkeit: Ursachen werden als Unterschiedsmacher angesehen.


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