Sahra Wagenknecht – Freiheit statt Kapitalismus

Sahra Wagenknecht entwirft in ihrem Buch die grundlegende Struktur einer anderen Wirtschaftsordnung, in der sie die Lehren aus 60 Jahren Kapitalismus nach westlichem Vorbild einfließen lässt. Sie präsentiert ihre Ideen auf 368 Seiten und zeigt, wie ihre Ansätze zu einem an Menschen und nicht an Profiten orientierten System führen können. Das Buch ist im Mai 2011 bei Eichborn erschienen und präsentiert die Lösungsideen in nachvollziehbarer Form.

Im ersten Teil des Buchs beschreibt Wagenknecht den Weg in die aktuelle Krise. Dabei liest sich das Buch stellenweise wie ein Wirtschaftskrimi, insbesondere wenn es bestenfalls als korrupt zu beschreibende Aktivitäten verschiedener Akteure nachzeichnet (Insiderhandel und wissentlicher Verkauf wertloser Papiere unter Verschleierung dieser Tatsache, um nur zwei der Themen zu nennen). Insbesondere dieser Teil des Buchs profitiert vom breiten Wissen Wagenknechts über wirtschaftliche und politische Zusammenhänge – zumal diese durch einschlägige Literatur belegt sind. Hier stützt sich Wagenknecht größtenteils auf die klassischen Vordenker der sozialen Marktwirtschaft. Dies ist wohl besonders für diejenigen überraschend, die gerne das kommunistische Schreckgespenst an die Wand zeichnen. Doch lässt sich die zentrale Aussage Wagenknechts, die heutige Gesellschaft sei keine Leistungsgesellschaft, da Leistung weniger zählt als Geburt in die richtigen Kreise, auch nicht durch ihre zahlreichen Gegner_innen leugnen. Denn mittlerweile hat nicht nur die OECD erkannt, dass Deutschland eines der am wenigsten durchlässigen Länder ist und es um soziale Aufstiegschancen äußerst schlecht bestellt ist (z.B. Soziale Aufstiegschancen in Deutschland besonders schlecht oder Soziale Mobilität: Wenn Leistung nicht lohnt).

Nachdem Wagenknecht den Weg in die Krise beschrieben hat, stellt sie im zweiten Teil des Buchs ihre Ideen vor, mit dem das System reformiert werden kann. An dieser Stelle muss besonders der Reformationsgedanke hervorgehoben werden, denn Wagenknecht ruft nicht zur groß angelegten marxistisch-kommunistischen Weltrevolution auf, wie ihr von Kritiker_innen oftmals vorgeworfen wird. Stattdessen schlägt sie ein System vor, in dem die Wirtschaft zuallererst den Menschen dient und nicht andersherum. Als Grundproblem identifiziert Wagenknecht die Akkumulation großer (bzw. eher riesiger) Kapitalmengen in wenigen Privathänden. Diesem soll durch eine Streichung staatlicher Altschulden begegnet werden; kombiniert allerdings mit weiteren Maßnahmen, um einer neuerlichen Vermögenszentralisierung entgegenzuwirken.

Unter anderem plädiert sie für einen öffentlichen Bankensektor nach dem Vorbild der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Die Verstaatlichung von Banken muss dabei nicht einmal durch Entschädigungen begleitet werden, da sowohl die Bundesregierung als auch ganz aktuell die EZB die Banken mittlerweile mit einem Milliardenbetrag unterstützen. Neben der Verstaatlichung von Banken empfiehlt Wagenknecht weiterhin die Verstaatlichung bzw. Rekommunalisierung verschiedener Schlüsselindustrien sowie Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Privatisierungswellen der 90er Jahre haben gezeigt, dass die Allgemeinheit in der Regel nicht davon profitiert. Stattdessen gibt der Staat Möglichkeiten der Querfinanzierung aus der Hand, z.B. preisgünstigeren ÖPNV subventioniert aus Einnahmen kommunaler Energieversorger.

Neben den hier vorgestellten Ansätzen enthält das Buch weitere, gut durchdachte Ideen. Die größte Überraschung ihrer Gegner_innen dürfte Wagenknecht dadurch gelungen sein, dass sie nicht für eine zentralistisch organisierte Planwirtschaft eintritt – von der sich im Übrigen auch die LINKE schon vor langer Zeit verabschiedet hat. Stattdessen hebt sie die Innovationskraft kleiner und mittelständischer Unternehmen hervor, die sie auch in Zukunft nutzen will. Diese Innovationskraft sehe auch ich im Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit, wenn wir mit KMU-Partnern zusammenarbeiten.

Das Buch ist als Antwort auf die aktuelle Krise nur zu empfehlen. Und zwar nicht nur in linken Kreisen sondern insbesondere auch in liberalen (nicht neoliberal) bzw. konservativen. Denn Wagenknecht tritt für eine Wirtschaft ein, die sich an Leistungen orientiert und nicht an Systemrelevanz. Wir alle sehen momentan, dass der Kapitalismus mit seinem inhärenten Wachstumsglauben aus mehreren Gründen nicht das Ende der Geschichte sein kann und darf. Davon sind die Auswirkungen auf die Umwelt nur die gravierendsten und in der westlichen Welt (man muss wohl sagen: leider) unsichtbarsten. Trotzdem sind auch soziale Verwerfungen des Systems mittlerweile in Europas Kern angekommen und dementsprechend sind auch dort die Menschen nach 20 Jahren des absoluten Systemglaubens wieder offen für neue Ideen. Hier trifft Wagenknecht absolut den Nerv der Zeit und präsentiert Ideen, die auf einem sicheren Fundament stehen.

Fazit: uneingeschränkte Leseempfehlung!


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