Nackter Wahnsinn – Was ihr wollt

Geht man aus dem Nackten Wahnsinn heraus denkt man erst mal: Was für ein Wahnsinn. Damit ist dieses Stück unter der Regie vom mittlerweile in Leipzig berüchtigten Sebastian Hartmann im Centraltheater ganz gut beschrieben. Zur kleinen Einstimmung ein kleiner O-Ton, der nach den ich nach der Veranstaltung aufschnappen konnte: „Man sollte den Regisseur einige Rollen selber spielen lassen, damit er weiß, was er seinen Schauspielern antut“. Nun, ganz so weit würde ich nicht gehen, denn ich denke, Hartmann weiß schon, was seine Leute machen und was sie nicht machen. Zumal er ihnen im Nackten Wahnsinn wohl recht viele Freiheiten gelassen hat.

Zum Stück selber ist schon so einiges geschrieben wurden und besonders Maximilan Brauer in der Rolle des Jesus wurde dabei in den Fokus gerückt. Die Szene, die dem Premierenpublikum wohl am besten im Gedächtnis bleiben wird, beschreibt die nachtkritik wie folgt:

„Er will nicht ans Kreuz, will nicht sterben für die Menschheit, will raus aus seiner Rolle, rennt wie ein Bündel Wahnsinn durch den Raum, bald splitterfasernackt, autoaggressiv das Geschlechtsteil malträtierend, wild rammelnd, als habe die Luft einen Schoß, schließlich so lang den frischen Kot auf seinem Körper verschmierend, den der wundersam ausharrende Esel wie auf Kommando auf den Bühnenboden fallen ließ.“

Mehr muss man zu dieser Szene auch nicht schreiben, zumal sie in unserer Vorstellung (vielleicht sogar zum Glück) leicht abgeschwächt wurde und Brauer weder nackt ist noch sich im Kot suhlt. Auch wenn die Gedanken daran dank der bildhaften Beschreibung doch im Hinterkopf waren. Vor allem, wenn man in der ersten Reihe sitzt, ist die latente Gefahr doch noch vorhanden, dass einem etwas von der neuen „Bühnendeko“ näher kommt.

Aber ich will an dieser Stelle das Stück nicht auf eine einzelne Szene reduzieren, zu viel ist passiert in den etwa dreieinhalb Stunden, die stellenweise fesselnd, stellenweise langatmig, stellenweise komisch aber doch immer irgendwie etwas anders waren als vieles, was man bisher gesehen hat. Hervorzuheben an dem ganzen Abend ist die beeindruckende schauspielerische Leistung, die das Ensemble des Centraltheaters mal wieder an den Tag gelegt hat – diese muss man unabhängig davon, wie man zu Hartmann steht, immer wieder anerkennen.

Die Handlung im Leipziger Nackten Wahnsinn beginnt mit einem Stück-im-Stück, angelehnt an Michael Frayns „Der Nackte Wahnsinn“: Schauspieler_innen, die Schauspieler_innen spielen, die ein Theaterstück proben. Der Name verrät es; in dieser Inszenierung wird „Was ihr wollt“ von Shakespeare geprobt. Nun ist dieses Stück selbst eine Verwechslungskomödie, in der Frauen Männer spielen.

Hat man anfangs noch eine ungefähre Ahnung davon, worum es geht, wird der Handlungsfaden im Laufe des Abends immer weiter verwässert und schließlich komplett außer Acht gelassen. Dies ist auch meine größte Kritik am Stück. Auch wenn Theater avantgardistisch sein kann und sich neuer Methoden bedient, experimentiert und abseitig ist: Ich bin doch immer noch ein Anhänger der Theorie, dass ein Stück eine gewisse Rahmenhandlung braucht. Diese wurde hier allerdings vollkommen gesprengt, insbesondere im zweiten Teil der Aufführung.

Denn hier bricht der Nackte Wahnsinn tatsächlich aus und es wird Szene an Szene gereiht, ohne dass sich ein roter Faden erkennen lässt. Auch wenn die einzelnen Szenen in sich selber sicherlich gut bis sehr gut dargestellt sind, reicht das für mich nicht ganz aus um einen perfekten Theaterabend zu erleben. Von den einzelnen Szenen bleiben neben der viel zitierten Eselszene vor allem zwei Dinge im Kopf. Das ist einerseits der stark auftretende Gewandhauschor, der dem ganzen Chaos auf der Bühne etwas Bodenständigkeit verleiht. Auf der anderen Seite ist das Artemis Chalkidou in ihren verschiedenen Rollen, die sie durchweg emotional und leidenschaftlich spielt.

Fässtman den Theaterabend zusammen, ergibt sich ein doch recht anspruchsvolles Stück, will man es in seiner Gänze fassen und verstehen. Ich verzichte an dieser Stelle bewusst darauf, auf die von Hartmann geschaffenen Metaphern einzugehen, da sich jede_r ihre und seine eigene Meinung darüber bilden sollte, was mit den unterschiedlichen Szenen gemeint sein könnte. Um das Verständnis Hartmanns vom modernen Theater zu erfassen, lohnt sich ein Besuch dieses Stücks. Und auch um zu sehen, was für ein tolles Ensemble das Centraltheater eigentlich hat.


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